Chile und Argentinien
Heading south (aktuell: Tolhuin, Feuerland) // 08.02. – 22.02.2017
In den letzten Wochen ging es u.a. über Bariloche, El Bolson, Futaleufú, Coyhaique, El Chaltén und El Calafate zwischen Chile und Argentinien hin und her bis zu unserem aktuellen Standort kurz vor dem Etappenziel Ushuaia…
Bordercrossing
– kann so unterschiedlich sein. Auf unserem Weg von Santiago nach Ushuaia springen wir zwischen Chile und Argentinien hin und her. Innerhalb von Europa sind wir ja verwöhnt und mittlerweile gewohnt, dass eine Ländergrenze nicht mehr ist als ein Hinweis in Schilderform am Straßenrand. Hier ist das jedoch noch ganz anders und je nach Ort des Grenzübertritts so unterschiedlich wie Nutella und Dulce de Leche. Unsere erste „Grenzerfahrung“ war der Übergang von Chile nach Argentinien am Paso Cardenal Samoré (zwischen Osorno und Bariloche). Ein „großer“ Grenzübergang, den auch Reisebusse und LKWs benutzen. Wer in einer Warteschlange stehen zu seinen Leidenschaften zählt, der kommt hier voll auf seine Kosten. Eine Stunde für die Ausreise aus Chile und eine Stunde für die Einreise nach Argentinien. Alle Schilder auf Spanisch, nur eine grobe Ahnung was wir wo vorzeigen und tun müssen, einfach mal hinten an die längste Warteschlange anstellen, beobachten was alle anderen tun und dann einfach nachmachen. Es wirkt teilweise so, also wüssten selbst die Einheimischen nicht so recht, was sie tun müssen…und hey, die sprechen in der Regel die Sprache die auf den Schildern steht. Es herrscht irgendwie ein geordnetes Chaos und am Ende haben wir zwei Stempel mehr im Pass von der Grenzpolizei, zwei Stempel von der Zollbehörde in unseren speziellen Chilenischerleihwagenwillnachargentinieneinreisen-Fahrzeugpapieren und wir sind von Chile nach Argentinien gereist. Es scheint als haben wir uns jeweils an der richtigen Warteschlange angestellt. Was zusätzlich etwas verwirrend ist, es gibt häufig zwei unabhängige Grenzstationen. Eine für die Ausreise aus dem jeweiligen Land und eine für die Einreise ins andere Land. Dazwischen liegen jedoch mehrere Kilometer Fahrstrecke, also quasi Niemandsland, denn man ist zwar schon ausgereist, aber noch nicht eingereist?! Verrückte Welt. Zur Abwechslung kann man sich aber auch eine Grenzstation gönnen, bei der der zuständige Grenzpolizist mit seiner Familie in einem kleinen Häuschen neben dem Schlagbaum wohnt, weil es in jede Richtung ca. 2 Auto-Schotterpisten-Stunden lang nur ein großes Nichts gibt. Der tägliche Arbeitsweg wär dann wohl verständlicher Weise etwas zu aufwändig, weshalb er dann einfach im Nichts wohnt. Nervende Nachbarn hat er jedenfalls keine. Aber nervende Touristen wie uns, die an seine Haustür klopfen und sein Mittagessen mit der Familie unterbrechen um über die Grenze zu kommen. Den ganzen Tag kommt hier kein Auto vorbei und ausgerechnet dann, wenn er gerade Mittag macht kommen wir…sorry. Er schien deswegen aber nicht verstimmt zu sein, vielleicht hats ihm ja eh nicht geschmeckt. Übrigens dürfen kaum Lebensmittel mit über die Grenze genommen werden, was bei uns regelmäßig zu vorgrenzlichem Resteverzehr führt. Man hat also die Wahl zwischen einer Gutestraßenaberhoherzeitaufwand-Grenze und der Mittenimnixgehtschnellaberdiestraßensindderhorror-Grenze. Man sollte beides mal ausprobiert haben.
Ordnung
– ist das halbe Zusammenleben. Unsere Allradwohnung ist zwar sehr praktisch, dafür ist die Wohnfläche recht überschaubar. Das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass man alles sofort und ohne Suchaufwand wiederfindet. Es sei denn es herrscht eine gewisse Ordnung, bei der Gegenstände immer an ein und dem selben Ort aufbewahrt werden. Ist ja auch gar nicht so schwer – sollte man meinen. Und ja, ich gebe es zu, ich stehe voll auf Ordnung. Bei uns besteht ein Tag jedoch häufig aus vielen kleinen Ratespielen. Am beliebtesten ist die Ratespielvariante „Schatz-wo-ist“. Dieses Spiel ist recht simpel und bedarf keiner großen Vorbereitung. Es muss lediglich vergessen werden, wo die einzelnen zu findenden Gegenstände eigentlich ihren festen Platz haben. Für 50% der Menschen unseres Reiseduos ist das dank immer wiederkehrendem Gehirnschluckauf recht einfach zu bewerkstelligen. Die anderen 50% Reiseduo müssen dann innerhalb von ca. 1,23 Sekunden auf die von Person „Gehirnschluckauf“ gestellte Suchanfrage antworten, da sonst die Frage umgehend wiederholt wird und der Punkt anscheinend an den Fragenden geht – ganz so sicher bin ich da noch nicht, wer bei dem Spiel zu welchem Zeitpunkt der Gewinner ist. Auch eine Abwandlung des Spiels ist gebräuchlich. Dabei werden Gegenstände einfach an nicht dafür vorgesehenen Orten deponiert, bevor der Gehirnschluckauf einsetzt. Somit hat dann auch der Gefragte keine Ahnung, wo sich der gesuchte Gegenstand befindet – ein Spielspaß für die gesamte Familie. An dieser Stelle lasse ich mal offen, wer bei diesen Spielchen welche Position einnimmt. Das Zusammenleben 24/7 über ein paar Monate auf so engem Raum kann teilweise schon mal eine Herausforderung sein. Ich nehme es aber vorweg, ich würde es wieder tun. Nichtsdestotrotz gibt es interessante Verhaltensweisen, die man während der Zeit an seinem Partner feststellen kann (abgesehen vom eben erwähnten brain crash). Zum Beispiel verpasse ich generell rein gar nichts. Damit ist gemeint, dass ich über alles (unwichtige) informiert werde. Gehen ich z.B. mal eben während der Nachtlager-Aufbauphase auf die Naturtoilette, bekomme ich bei meiner Rückkehr erst mal mitgeteilt, was meine Reisebegleiterin in der Zwischenzeit getan hat. Gott sei Dank, sonst hätte ich wohl nie mitbekommen, dass sie schon die Stühle aufgestellt und die Schlafsäcke vom Auto ins Zelt getan hat!? Ich glaube jedoch, dass es dabei weniger um den Informationsgehalt geht, sondern vielmehr darum, dass Frauen pro Tag ein gewisses Wortkontingent haben, dass auf jeden Fall aufgebraucht werden muss. Wurde am Tag weniger geredet, müssen die Wörter am Abend halt noch irgendwie weg. Werde das weiter untersuchen und ggf. eine wissenschaftliche Studie dazu in Auftrag geben.
Der heilige Integral
– wir haben ihn tatsächlich gefunden. Zu Hause gibt es wirklich verdammt gutes Brot. Das wird einem erst so richtig bewusst, wenn man die fünfte Woche auf mittelmäßigem Weißbrot rumkaut, das aus Mangel an einer einfachen und schnellen Toastvorrichtung nicht getoastet ist und in Folge dessen von der Haptik an einen Putzlappen erinnert…irgendwo in der Mitte der Aggregatzustände „Fest“ und „Flüssig“ eben. Im Körper ist das Zeug schneller verbrannt, als ein Weingut in Chile (sorry, das war böse). Zwar darf sich dieses Brot hier „Vollkornbrot“ (pan integral) nennen, aber das heißt ja nichts. Ob ich ein halbes oder volles Weißmehlkorn nehme, macht ja letztendlich keinen Unterschied. Wenn ich einem Esel ne Klingel ans Ohr klemme, wird eben auch kein Fahrrad draus. Dieses Brotblem haben wir oft auf Reisen. Wir Deutschen sind halt eine Frühstücksnation und dazu gehört einfach ein ordentliches Brot! Wenn ich hier Menschen sehe, die vor einer achtstündigen Wanderung Cracker und Tütensuppe frühstücken, dann bekomme ich das Bedürfnis zu Spenden oder zu Backen. Aber wie dem auch sei, unglaubliches ist geschehen! An einem Ort, an dem man eigentlich generell nicht viel erwarten konnte, hat Julia es durch Zufall gefunden, richtig gutes Vollkornbrot – der heilige Integral. Wir haben es verehrt, angebetet und innerhalb kürzester Zeit seiner Bestimmung zugeführt. Mit den Tönen die wir beim essen dieses Heiligtums gemacht haben, hätte man leicht einen Porno synchronisieren können. Damit aber noch nicht genug. Wir hatten uns schon wieder mit drittklassigem Putzlappenbrot abgefunden, da geschah ein weiteres Wunder. Brennender Dornbusch, Wasser zu Wein und der Herr sprach: Brot! Eine Bäckerei, geführt von deutschen Auswanderern – Amen! Es gibt also eine Fortsetzung – der heilige Integral 2. Und der toppt sogar noch das erste Brotwunder. Man kann sich also auch über Dinge freuen, für die man zu Hause nur mal eben zum nächsten Supermarkt muss. Jetzt gibt es aber ein kleines Problem. Wie bekommen wir einen Vorrat deutscher Backkunst von Argentinien nach Chile? Es hilft nichts, wir werden das Gesetz brechen müssen, koste es was es wolle. Sollten wir im chilenischen Gefängnis landen, dann war es das Brot wert…
Müll
– wo er einfach nichts zu suchen hat. Es gibt ein Rätsel, das wir bislang selbst durch überdurchschnittlich langes Nachdenken nicht lösen konnten. Wer jedoch auf jeden Fall schon lange das Denken aufgegeben hat, das sind die Menschen, die dieses Rätsel überhaupt erst verursachen. Kurz gesagt: Müll an den schönsten Orten. Wenn wir zu einem abgelegenen, einsamen Ort kommen, dann ist uns schon bewusst, dass wir sicher nicht die ersten Menschen überhaupt sind, die diesen Ort betreten haben. Dieser Gedanke reicht mir eigentlich vollkommen, ich brauche nicht noch die visuelle Bestätigung. Von Hausmüll über Sperrmüll bis hin zu Ölfiltern von Baumaschinen…alles findet den Weg in die herrliche Natur von Chile und Argentinien. Natürlich sieht nicht jeder Ort so aus, den wir ansteuern, aber es ist auffällig häufig der Fall. Das Mindeste sind herumliegende Taschentücher. Das hat einen recht einfachen Grund. Es liegt in der Natur des Menschen, dass alles was oben reingestopft wird, irgendwann in abgewandelter Form unten wieder raus möchte. So far(t) so good. Dem Körper ist bei Bedürfniseintritt jedoch relativ egal, wo er sich gerade aufhält. Das kleine Geschäft lässt sich ja relativ unauffällig in der Natur unterbringen. Wenn jedoch „big business“ auf der Agenda steht, dann ist das schon etwas aufwändiger und verursacht meist Müll in Papierform (man kann auch Tannenzapfen und Gras nehmen, aber ein Mindestmaß an Luxus darf ja sein). Da man ja freundlich ist, möchte man seine Mitmenschen nach Geschäftsabschluss darauf hinweisen, dass hier etwas liegt, in das man nicht reintreten sollte. Wie macht man das am besten – richtig, natürlich mit einem Fähnchen…mal wieder (ich berichtete). Es wird also ein Taschentuch o.ä. oben auf dem Geschäftsergebnis platziert um andere Menschen zu warnen. Sehr freundlich eigentlich, aber nicht durchdacht. Der böse Wind weiß das nämlich nicht und verteilt das Papier. Ein traumhafter Anblick. Wie wir erfahren konnten, haben diese Fähnchen übrigens tatsächlich einen Namen: Chilean Flag. Nicht sehr rühmlich. Jetzt könnte man behaupten, das seien alles die fiesen internationalen Touristen schuld. In La Junta wurde jedoch z.B. eine Statistik in diesem Zusammenhang angefertigt. La Junta ist ein Tal in den Bergen Chiles, das man nur per 4h-Wanderung oder per Pferd erreichen kann. Möchte man dort hin, muss man sich mit seinem Ausweis/Pass registrieren. Dabei kam heraus, dass der meiste Müll dann im Tal zurückbleibt, wenn hauptsächlich Chilenen dort oben sind. Ich will gar nicht den großen Zeigefinger auspacken, wir verschmutzen unser eigenes Land auch genug, aber es wäre so einfach die Müllberge hier zu verhindern: nehmt euren Scheiß einfach wieder mit…und den anderen (echten) Scheiß könnt ihr gerne dort lassen, aber vergrabt das Zeug und spart euch die Chilean Flag. Zeigefinger-Modus off.
Fakten:
- aktueller Standort: Tolhuin (Feuerland), kurz vor dem Ende der Welt…
- bisherige Autokilometer: 5.300km
- bisherige Wanderkilometer: 46km (ohne die in den Großstädten zurückgelegten Fuß-km)
- bisherige Fahrradkilometer: 30km
- wenn es regnet wird Staub zu Matsch und der macht auch dreckig
- packt man aus versehen auf so ein südamerikanisches Stachelraupending, dann tut es tagelang weh und juckt unaufhörlich
- je weiter südlich, desto weniger kurze Hose und T-Shirt
- wenn sich im Regen der gesamte Scheibenwischermotor vom restlichen Fahrzeug löst, dann ist das blöd
- das Brot hat erfolgreich die Grenze überquert
- besser gar kein Internet als schlechtes Internet (deshalb nicht alle geplanten Fotos enthalten)